Diese Inhalte sind Auszüge aus dem Buch "sch", das im Oktober 2003 erscheint. Jetzt bestellen!

Männer zum Scheitern


von Tanja Scherer

Und da sitzt man wieder: verheult – ein Zeichen, dass es einen doch irgendwie tangiert, wütend – mehr auf sich selbst als auf ihn, resigniert – mit diesem irren Blick ins Nichts. Den Oberkörper nach vorne und hinten schaukeln nicht vergessen. Man ist wieder alleine. Bis der Nächste kommt. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
Hoffen auf den Einen? Den Richtigen? Bis es so weit ist, gerät man routiniert an die Falschen. Gut, dass es davon so viele gibt. Die Entschuldigung für Selbsttäuscherinnen: Man macht ja keine Fehler, man sammelt nur Erfahrungen. Ja, ja. Wer, bitteschön, hat heute noch die Zeit, Geduld und Eierstöcke, um stoisch die gruseligsten Typen durchzuexerzieren? Der Kampf beginnt. Das Starterkit: ein Frühwarnsystem in Form komprimierter Daten der schlimmsten männlichen Eigenschaften, ver-teilt auf 15 Kategorien. Überschneidungen nicht ausgeschlossen. Liebe Frauen, bevor ihr teures Cellulite-Gel kauft, guckt noch mal genau hin, ob er die sechs Euro neunzig überhaupt wert ist.

Der Unzuverlässige
Vertraue nur dir selbst. Erledige das, was dir wichtig ist, alleine und verlasse dich niemals auf ihn. Du schickst den Brief weg, du kaufst für das Essen ein, du erledigst dringende Telefonate, du bist da, wenn der Heizungsableser kommt, du bewahrst alle Schlüssel bei dir auf, du
kontrollierst die Rechnungen, du denkst an Geburtstage, du packst den Koffer, du kaufst die Tickets, du beantragst die GEZ-Gebührenbefreiung, du stellst die Herdplatte aus – du weißt, wo dir der Kopf steht, wenn er es nicht mehr weiß. Hallo, Mutterinstinkt! Abtreibung gefällig?

Der Hypochonder
Ich glaub, ich krieg ’ne Grippe. Sein Lieblingssatz. Eine Grippe, die es in sich hat. Sie bricht nie ganz durch, schmort unterschwellig im Körper. Das bedeutet: Er fühlt sich schwach, aber nicht so schwach, das ge-wohnte Tagespensum runterzuschrubben. Das bedeutet: Er kann schlecht gelaunt sein, ohne sich angreifbar zu machen. Denn er, der ja eigentlich schon nicht mehr zu den Lebenden gehört, geht trotzdem heldenhaft seiner Arbeit nach. Das bedeutet: Emotionen gegenüber anderen spielen nur noch eine Nebenrolle – wenn überhaupt. Vermittelte Emotionen anderer ihm gegenüber wiederum müssen eine Bedingung erfüllen: ihm das Gefühl geben, dass er das Opfer der Gesell-schaft ist. Ei, ei, ei, das machst du aber fein. Und immer wieder: Bleib doch im Bett, nimm dir nicht zu viel vor. Damit er antworten kann:
Nein, das schaffe ich. Und zum Mythos aller Märtyrer aufersteht. Der Psychiater ist sein bester Freund. Seelenzerstückelei ohne Lösung. Schuld hat nämlich nur die Grippe.

Der Polygamist
Er liebt dich. Er liebt sie. Er liebt die Frauen. Und er will sie alle. Zum Liebhaben, zum Spaßhaben, für davor, dabei und danach. Mädel, hab du deinen Spaß – und benutz ein Gummi.

Der Nörgler
Das Leben ist eine einzige Misere. Das Gute: für jeden Teilbereich gibt es einen Verantwortlichen. Der Job läuft nicht? Der Chef ist schuld. Die Beziehung ist am Kriseln? Die Freundin fordert zu viel. Die Familie braucht einen neuen Therapeuten? Der alte ist inkompetent. Der Tag hat sowieso schon schlecht angefangen? Die Bahn kam mal wieder mit Verspätung. Die Gesellschaft geht zugrunde?

Der Mensch an sich ist böse. Er kriegt keinen mehr hoch? Östrogene im Essen. Rien ne vas plus. Nur der Nörgler selbst ist nie Täter. Er beherrscht die Opferrolle ekelhaft perfekt. Wie man ihn aus dem Konzept bringt? Ihn richtig fertig machen. Damit seine Methode auch mal Wahrheit hat.

Der Grobmotoriker
Neulich beim Zahnarzt. Jan hat ein Namensschildchen mit dem Untertitel „Prophylaxe“. Das ist sein Schwerpunkt. Doch wie mir seine Kollegin verrät: Jan ist Grobmotoriker und verschmerzt dadurch seine PatientInnen. Wie kann man sich da ein Sexualleben vorstellen? Linke Hand heben, wenn’s weh tut. Ich spür noch was, könnten Sie mal nachspritzen? Das ist so eng, da komm ich schwer ran. Jetzt mal gaaanz weit auf – und wieder zu. Nee, Jan, lass mal. Ich mach das schon selbst. Bevor ich mir was anderes reinschiebe, tut’s auch die Schiene gegen Zähneknirschen. Hart, aber herzhaft. Damit Sie auch morgen nicht gebissen werden.

Der Täuscher
Nicht kleckern, sondern klotzen. Er hat alles und jeder weiß es. Sein Motto: Tue Gutes und erzähle es. Bescheidenheit ist nicht seine Stärke. Mehr Schein als Sein. Und mehr von dem einen vergrößert die Distanz zu dem anderen. Wenn wir dann doch irgendwann die Wahrheit
erfahren, wären wir Mr. Perfect gerne wieder los. Das hat keine kapitalistischen Beweggründe – es ist nur fair, vorher zu wissen, was die Inventur ergeben wird. Minus-Beträge gleichen wir nämlich nicht aus.

Der Phobiker
Jeder Trend erzeugt einen Anti-Trend. Und das lieben wir an der Emanzipation: die Anti-Emanzipation. Frau sein, schwach sein, sich chauffieren lassen und beschützt werden. Der Haken: keine Anti-Emanzipation ohne anti-emanzipierten Mann. Was haben wir nur aus dem einstmals starken Geschlecht gemacht? Statt blutrünstigem Grunzen und Fauchen faucht jetzt was ganz anderes in den muskelerschlafften Oberärmchen der Generation XY-Chromosom: das Angst-Gen. Angst vorm Fliegen, Angst vor Gefühlen, Angst vorm Schwulsein, Angst vor Entschei-dungen, Angst vor einfach mal was machen ohne es vorher zwei Jahre geplant zu haben, Angst davor, dass sie oben sitzt, und am meisten Angst vorm Alleinesein.

Buuuuuuh! Du armes, kleines Häschen wirst ganz alleine gelassen verlassen. Da hilft selbst ein niedliches Schwänzchenwackeln nicht mehr. Hüpf, hüpf.

Der Macho
Er schenkt Blumen, hält die Tür auf, zahlt immer das Essen, legt seinen Mantel über eine Pfütze, rettet die Angebetete vor dem Drachen und hält glorreich das glänzende Schwert in den Himmel empor. Ja, das ist der Prinz, von dem alle Frauen träumen. Die Realität birgt mehr Wahrheit als ein Märchen. „Du fährst gut Auto für ’ne Frau.“ Danke.
Und Frauen tun auch dies: sich selbst an den Nippeln lutschen, die Haare perfekt stylen, ohne Höschen den Boden wischen, zum Wechseln der Glühlampe den Handwerker rufen, nur weibliche Freunde haben, den Schraubendreher Schraubenzieher nennen, Nägel lackieren und hilflos sein, Tupperware-Partys schmeißen, Fotos in Fotoalben einkleben und mit lustigen Sprechblasen-Aufklebern verschönern, Salat essen und nachts heimlich Yogurette naschen, nichts sehnlicher als einen Dreier mit ihm und der besten Freundin wünschen, ständig aufs Klo müssen, Karriere machen, solange man nicht die des Mannes übertrifft, sich um die Familie kümmern, an alle Geburtstage denken und immer für ihn – ganz alleine – da sein. Eins lass dir sagen: Mach, was du willst. Aber zahl dein Essen immer selbst.

Der Schwätzer
Warum du dich in ihn verliebt hast: er erzählt lustige Geschichten, steht immer im Mittelpunkt, kann zu jedem Thema eine noch bessere Story zum Besten geben und verfügt über einen grandiosen aktiven Wortschatz, der jedem Sprachforscher feuchte Freudentränen bereiten würde. Ob Entertainment, Infotainment oder Dokutainment – Lange-weile gibt es nicht mehr, du hast ja ihn. Und das ist das Schlimme:
DU hast ihn. Inklusive permanenter Zudröhnung. Augen kann man schließen, nicht zuhören erweist sich als problematisch schwieriger zu kontrollieren. Der Aus-Knopf scheint nicht zu funktionieren. Blablablubb. Blubbblabla. Und wieder blablablubb – denn jede deiner Freundinnen muss diese Anekdote kennen. Die du schon die Woche davor gehört hast. Und den Monat davor. Und davor die Woche davor. Das Allheilmit-tel: Sex. Mund auf mal ohne Worte und natürlich ohne Nachspiel. Zur Seite rollen und endlich Ruhe.

Der Gottesanbeter
Ich Tarzan, du Gott. Hey, ein sauberer Deal. Er betet dich an, du bestimmst die zehn Gebote. Er bringt dir Opfer, du verzeihst seine Sünden. Er ist dir unterwürfig, du entscheidest zwischen Gut und Böse. Er liebt und fürchtet dich zugleich. Ein Nein wird es nie geben, Jasager mit Salut. Der Rat der Götter hat entschieden: Nimm ihm ein letztes Mal die Beichte ab und schick ihn in die Hölle. Er hat sich zum Affen gemacht, aber der Glaube verneint die Evolution. Männer müssen hart sein, ihr Ding machen, egoistisch sein, immer zu den Besten gehören, kämpfen, nie verlieren. Damit wir Frauen angestachelt werden – ihn doch noch auf die Knie zu kriegen.


Der Pseudointellektuelle
Sie spielt das kleine Dummerchen, er erzählt ihr gelegentlich was von Sokrates. Frauen stehen auf intelligente Männer. Den Intellektuellen, der nachts nur seine Brille abnehmen muss, um sich in den erotischen Bauernlümmel zu verwandeln. Das erste Date im Programmkino, hinterher ein Glas Rotwein mit Zigarillo und einem aufklärenden Gespräch über die momentane politische Lage. Er wäre der bessere Diktator. Wie konnte die Menschheit bis jetzt bloß ohne ihn überleben? Früh morgens, schleichen wir durch seine puristische Wohnung und entdecken sein intellektuelles Ich. Regale gefüllt mit Büchern – natürlich Hardcover – die wir von den Bestsellerlisten kennen. Keine Belletristik, versteht sich und wenn möglich in der Originalfassung. Acrylglas-Schuber für das Geo-, Zeit- und du-Abo drappieren sich in Augenhöhe. Ein Druck auf den Power-Knopf des Fernsehers offenbart uns seine Sehgewohnheiten: Programm 1 Arte, 2 Phoenix, 3 ntv, ... verdammt, wo ist hier Viva? Da wundern wir uns auch gar nicht mehr über seine Schlauheit. Er weiß alles und er weiß es besser. Wir wissen aber was, was er nicht weiß: Dumm fickt gut. Und dafür geben wir auch Sokrates her.

Der Wortgescheiterte
Ey, du hast einen echt süßen Body. Ich glaub, ich spritz jetzt gleich voll ab. Komm, zieh’s Höschen aus. Du bist echt eine Rakete. Wenn ich deine Brüste angucke, krieg ich richtig Lust auf einen Tittenfick. Tschüssikowsky. Alles klar auf der Andrea Doria? Sag mal, du bist doch bestimmt Model. Da zeig ich mich mal solidarnosch. Das ist ja supi. Momente für den Rückzug in Mamas Schoß. Zur Beruhigung: Er kann nichts dafür, das Fernsehen und abgestumpfte Dialog-Schreiber sind dafür verantwortlich. Pornofilmchen, Soaps oder Spiegel-TV-Spezials und Konsorten – er ist ein Opfer der Mediengesellschaft. In einer visuellen Sozialisation ist Fernsehen Realität. Und da guckt man sich eben einiges ab. „Baby, besorg’s mir. Ja, ich bin auch total geil auf dich.“ Träum weiter, Kleiner.


Die Handschelle
Wo andere Männer noch dabei sind ihre Lieblingsblumen herauszufinden, findet er das perfekte Haus für eine Bilderbuch-Kleinfamilie mit Garten. Wo andere Männer noch dabei sind, ihre beste Freundin um Hilfe zu bitten bei der Suche nach dem besten Geburtstagsgeschenk, schenkt er ihr Verlobungsringe mit Gravur. Wo andere Männer gerade die Ling-Stelle in der Kniekehle entdecken, entdeckt er seine Kinderwünsche. Eins, zwei, drei – so schnell geht das Leben jetzt vorbei.
Hat man früher noch Vater, Mutter, Kind gespielt, spielen wir jetzt Erwachsenen-Spiele: Catch me if you can. Und ich bin so was von verdammt schnell.

Der Choleriker
Wenn ich nach dem Urlaub erfahre, dass mein Freund seine Zunge einem anderen in den Mund und vielleicht auch in anderweitige schleimhautummantelte Räumlichkeiten gesteckt hat, finde ich es recht angemessen, dass ich ausflippe. Wenn aber mein Freund durchdreht, weil die Essensportion in der Mensa zu klein ist, er den nicht gelungenen Pizzateig vor Wut quer durch die Küche schleudert, weil er ihn nicht richtig geknetet hat, er den Kaffee in die Spüle schmeißt, weil sein Frühstück unterbrochen wird, er gegen seinen Bürotisch tritt, weil jemand seinen Kleber ohne zu fragen aus der Schublade genommen hat (und ein Post-it auf den Rechner des Englisch sprechenden Kleber-Diebes klebt: Who is the glue?), er einen Schreianfall erleidet, nur weil er seinen Discman nicht findet, oder er den ganzen Abend beleidigt ist, wenn ich einen alten Freund mit Bussi-Bussi begrüße, dann ist es auch völlig okay, ihm meine Bikerboots in die Eier zu treten. Gerade fest genug für ein angenehm ruhiges Halbkoma. Aaaah, diese Stille.

Fortsetzung folgt. Ich kann nichts dafür.